Der Regenbogenfänger
Ein magisches Windspiel im Garten
Es war einmal ein Mädchen namens Marie, das Regenbogen über alles liebte. Immer wenn es nach einem Regenschauer die Sonne durchbrach, rannte sie nach draußen und suchte den Himmel nach den bunten Bögen ab.
Eines Tages, als sie wieder einmal einem besonders prächtigen Regenbogen nachschaute, entdeckte sie etwas Seltsames im Garten ihrer Großmutter. Zwischen den Rosenbüschen hing ein merkwürdiges Gebilde, das aussah wie ein großes Windspiel. Es war aus glänzendem Silber gefertigt und hatte viele kleine, runde Glasbehälter, die wie Tränen an dünnen Fäden baumelten.
„Was ist das denn?“, murmelte Marie und trat näher heran. Da bemerkte sie etwas Faszinierendes: In einem der kleinen Glasbehälter schimmerte ein wunderschönes Violett, als hätte jemand ein Stück Regenbogen eingefangen und hineingesteckt.
Ihre Großmutter, die gerade aus dem Haus kam, lächelte geheimnisvoll. „Das, meine liebe Marie, ist ein Regenbogenfänger. Er sammelt die Farben der Regenbogen und bewahrt sie für dich auf.“
Lebendige Bilder voller Zauber
Von diesem Tag an wurde Marie zur eifrigsten Regenbogenfängerin der ganzen Gegend. Nach jedem Regenschauer kontrollierte sie ihr magisches Windspiel und sammelte die eingefangenen Farben. Es war wie ein Schatz, der vom Himmel fiel: leuchtendes Gelb wie Sonnenschein, tiefes Blau wie das Meer, strahlendes Grün wie Frühlingswiesen.
Und das Beste war: Wenn Marie mit diesen besonderen Farben malte, erwachten ihre Bilder zum Leben! Die gelben Schmetterlinge flatterten von der Leinwand und tanzten durchs Zimmer, die blauen Fische schwammen in der Luft, als wäre sie Wasser, und die grünen Blumen dufteten so herrlich, dass der ganze Raum wie ein Garten roch.
Marie malte Bild um Bild und ihre kleine Kammer verwandelte sich in eine lebendige, bunte Zauberwelt.
Der graue Winter
Doch dann kam etwas Unerwartetes: Der Winter begann früher als sonst und war so kalt und grau wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Woche um Woche zogen düstere Wolken über den Himmel, aber kein einziger Regenbogen erschien.
„Wo sind denn alle Regenbogen geblieben?“, fragte sich Marie besorgt. Ihre Großmutter seufzte. „Bei so einem Winter gibt es manchmal monatelang keine Regenbogen, mein Kind.“
Marie schaute auf ihre fast leeren Glasbehälter. Nur noch ein einziger war gefüllt: ein warmes, leuchtendes Rot, das sie für etwas ganz Besonderes aufbewahrt hatte. Langsam begannen ihre lebendigen Bilder zu verblassen, und Marie wurde ganz traurig.
Ein neuer Freund und ein besonderes Geschenk
Eines verschneiten Tages hörte Marie jemanden leise weinen. Hinter einem großen Schneehaufen saß ein kleiner Junge mit dunklen Haaren und großen, traurigen Augen.
„Ich heiße Emil“, schniefte er. „Alle anderen Kinder reden immer von Regenbogen und wie schön sie sind. Aber ich habe noch nie einen gesehen.“
Marie spürte, wie ihr Herz warm wurde. Hier war es: das ganz besondere Etwas, für das sie ihre letzte Farbe aufbewahrt hatte. „Emil“, sagte sie mit leuchtenden Augen, „ich kann dir zwar keinen echten Regenbogen zeigen, aber ich habe etwas anderes für dich.“
Das Wunder der Freundschaft
Marie holte ihr kleines Gläschen mit der roten Farbe hervor. Es leuchtete so warm wie ein gemütlicher Kamin. „Das ist echte Regenbogenfarbe“, erklärte sie Emil. „Wenn du magst, können wir zusammen etwas ganz Besonderes damit malen.“
Gemeinsam malten sie ein großes rotes Herz in den Schnee. Und dann geschah das Wunder: Das rote Herz begann zu leuchten und zu pulsieren wie ein echtes Herz voller Wärme und Liebe. Aber das war noch nicht alles. Um das rote Herz herum entstanden plötzlich andere Farben – ein sanftes Rosa, ein warmes Orange, ein helles Gelb – und sie alle strömten aus Maries und Emils eigenen Herzen.
„Schau nur, Emil!“, rief Marie begeistert. „Wir haben unseren eigenen Regenbogen gemacht!“ Emil strahlte so hell wie die Sonne. „Das ist der schönste Regenbogen, den ich mir vorstellen kann!“
Die wichtigste Erkenntnis
Da verstand Marie etwas Wichtiges: Die wertvollsten Regenbogen entstehen nicht nur am Himmel nach einem Regenschauer. Sie entstehen in unseren Herzen, wenn wir anderen Menschen Freude schenken und unsere Liebe teilen.
Von diesem Tag an waren Marie und Emil die besten Freunde, und obwohl der Winter noch lange dauerte, trugen sie immer einen bunten Regenbogen in ihren Herzen. Und als der Frühling endlich kam und die ersten echten Regenbogen wieder am Himmel erschienen, sammelten sie gemeinsam neue Farben – aber die schönste Farbe von allen hatten sie bereits gefunden: die Farbe der Freundschaft.
Fazit: Die Magie des Teilens
Diese wundervolle Geschichte zeigt uns, dass die kostbarsten Schätze nicht die sind, die wir für uns behalten, sondern die, die wir mit anderen teilen. Marie hätte ihre letzte rote Farbe für sich verwenden können, aber indem sie sie mit Emil teilte, erschuf sie etwas viel Schöneres: eine echte Freundschaft und die Erkenntnis, dass die hellsten Farben aus unseren Herzen kommen, wenn wir anderen Gutes tun. Manchmal sind die Regenbogen, die wir selbst erschaffen, die allerschönsten von allen!